BOCHUM. Am 02.06.2021 hat das Bundeskabinett den Gesetzesplänen von Bundesgesundheitsminister Spahn zur besseren Bezahlung von Altenpflegekräften den Weg geebnet. Ziel dieser Gesetzespläne ist es, die Finanzierung von Pflegeeinrichtungen an eine Tarifpflicht zu binden und so die Vergütung von Pflegenden in Altenpflegeeinrichtungen zu verbessern. 

Dieser blinde Aktionismus kurz vor dem Ende der Amtszeit vergrößert jedoch nur wieder den Flickenteppich, den es schon jetzt bei der Vergütung von Pflegekräften gibt.

Heide Schneider

„Mit dieser Reform will die GroKo ihr Wahlversprechen von 2017, die Pflege zu stärken und zukunftsfähig zu machen, einlösen. Am Ende der Legislaturperiode versucht sie so das sinkende Schiff doch noch mit einem weiteren Flicken zu retten.“ So Heide Schneider, Vorstandsvorsitzende der Pflegegewerkschaft BochumerBund. „Wenn sie einen Flächentarifvertrag schon nicht verwirklichen können, dann doch wenigstens ein kleines Reförmchen. Dieser blinde Aktionismus kurz vor dem Ende der Amtszeit vergrößert jedoch nur wieder den Flickenteppich, den es schon jetzt bei der Vergütung von Pflegekräften gibt.“ Denn laut Kabinett ist die Finanzierung der Einrichtungen nicht unbedingt an einen richtigen Tarifvertrag gebunden, den Arbeitgebende und Gewerkschaften miteinander vereinbaren, nach dem die Pflegeeinrichtungen dann Pflegekräfte bezahlen: Mit der Bezahlung nach kirchenrechtlichen tarifähnlichen Konstrukten oder aber auch nach ortsüblichem Tarif erfüllen Pflegeeinrichtungen ebenfalls die Voraussetzung, um weiterhin durch die Pflegeversicherungen finanziert zu werden. „So wird es weiterhin üblich bleiben, dass eine Pflegekraft in Hamburg weit weniger verdient als eine Pflegekraft in München, obwohl sie die gleichen Tätigkeiten verrichtet.“ , merkt Schneider an. „In Regionen, in denen Pflegekräfte sowieso weniger verdienen, als im Rest der Republik, werden sie weiterhin weniger verdienen, da der ortsübliche Tarif niedriger ist. Daher fordern der BochumerBund ein entsprechendes Lohnniveau und flächendeckende Tarifverträge, die sich nicht an ortsüblichen Niveaus orientieren. Nur so können Pflegende nachhaltig profitieren und in ihrer Arbeit wertgeschätzt werden.“ 

Was das Bundeskabinett jedoch außer Acht gelassen hat: Nicht nur das Gehalt in Pflegeeinrichtungen sollte an feste Bedingungen geknüpft werden. „Pflegende werden fortan nach Tarif oder ortsüblichen Tarifen bezahlt. Was jedoch fehlt, ist eine Regelung hinsichtlich guter Stellenschlüssel in den Einrichtungen. Gute – nicht nur gerade so ausreichende – Stellenschlüssel gekoppelt mit einem sinnvollen Qualifikationsmix müssen ebenfalls verpflichtend werden.“ , betont Schneider. 

Ein weiterer Punkt des Reförmchens ist, dass weitere Modellprojekte zur Heilkundeübertragung durchgeführt werden. Pflegefachkräfte erhielten so mehr Kompetenzen, mit denen in der Ausbildung erlernte Inhalte sinnvoll angewandt werden könnten. Das Wissen der professionell Pflegenden könnte dadurch mehr Wertschätzung erfahren. Gleichzeitig bleibt es jedoch wichtig, dass die überwiegende Zahl an Pflegenden Fachkräften sind. Die Reform darf nicht den Effekt haben mehr, dass mehr schlecht ausgebildetes Personal beschäftigt wird. Diese Entwicklung besteht bereits und wurde zuletzt in einer umfassenden Studie kritisiert, die kürzlich von Gerda Sailer veröffentlicht wurde („Pflege im Fokus – Herausforderungen und Perspektiven – Warum Applaus alleine nicht reicht“). Auch im Hinblick darauf ist ein Pflegepersonalschlüssel unabdingbar, der eine gute Versorgung der Patient*innen ermöglicht. Schon in der 2017 veröffentlichten Studie „Die aktuelle Situation der Station“ bestätigten Zander und Busse Deutschland gemeinsam mit Polen und Spanien das schlechteste Pflegekraft – Patient*innen – Verhältnis Europas. Während in Deutschland durchschnittlich eine Pflegekraft für Zehn (!) Patient*innen zuständig war, waren es in den USA, Kanada oder Norwegen lediglich fünf Patient*innen. Dies verdeutlicht das Ausmaß des Fachkräftemangels deutlich und zeigt dadurch auch die Notwendigkeit einer attraktiveren Ausbildung auf. Es reichen keine kleinen Korrekturen des bestehenden Systems. Die Pflege in Deutschland muss grundlegend neu gedacht werden. Wissenschaftliche Ergebnisse, die den Bedarf aufzeigen und Möglichkeiten zur Verbesserung anbieten sind vorhanden. Es ist an der Politik Veränderungen jetzt umzusetzen, um eventuellen weiteren Pandemien vorzubeugen, aber auch  die standardmäßige medizinische Versorgung einer alternden Gesellschaft zu gewährleisten.

Der BochumerBund fordert deshalb die Pflegenden in allen Bereichen auf, sich nicht mit halbgaren Pflegereformen abspeisen zu lassen und ihre Bedingungen selbst in die Hand zu nehmen. Eine starke Fachgewerkschaft, die einen hohen Organisationsgrad besitzt, kann den Druck auf die Akteur*innen erhöhen und endlich Veränderungen bewirken, die sich auch auf Station, auf dem Wohnbereich oder auf Tour bemerkbar machen. Wir sind gespannt und werden mit Neugier beobachten wie die neue Bundesregierung ab September mit dem Reförmchen umgehen wird, denn umsetzbar wird es bis zum Ende der Legislaturperiode mit Sicherheit nicht mehr.

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